Rice, California. Am Rande der Mogave Wüste auf dem 62er Highway Richtung Arizona. 19 Meilen, bevor der 95er schneidet.

Rice,California, das ist eine stillgelegte Tankstelle, zwei alte Cabins und ein paar Wohnwagen und Autowracks.
Endstation Sehnsucht - Death Valley Foto: Michael Bruchner

"For sale" steht auf dem Holzschild, das Jameson oben beim Highway in den Boden geschlagen hat. Ansonsten hat sich nicht viel verändert, seit Jameson hier ist. Den Strom haben sie ihm abgestellt, vielleicht war auch nur irgendwo ein Masten umgefallen. Jameson hat sich jedenfalls nicht darum gekümmert.

Gerade holt er sich ein Bier, hinten vom Zaun, wo es am kühlsten ist, als er hinter sich einen Wagen bremsen hört.

Der Sheriff stieg aus seinem alten Chevy. ,,Hey, alter Junge, wie geht's?"

Jameson brummte etwas und schob seinen Hut zurück.

,,Ich wollte nur mal auf nen Sprung vorbeischaun, ob's dich noch gibt. Der alte Hank hat nämlich fast drei Wochen lang tot in seinem Wohnwagen gelegen, bevor ihn jemand gefunden hat."

Jameson zerknirschte kleine Steinchen unter seinem Stiefelabsatz. ,,So, hat er das."

,,Du kennst ihn doch, den alten Hank, der mit dem Feuermal, der Verrückte."

,,Nein", knurrte Jameson. ,,Ich kenne keinen Hank."

,,Na ja. Wie gesagt, ich wollte mal schaun, ob's dich noch gibt."

,,Es gibt mich noch. Ich muß die Stadt verkaufen."

Der Sheriff knetete seine Unterlippe.

,,So, bist du da immer noch dran. Ist sicher gar nicht so einfach. Wer will schon so was – ein bißchen Schrott mitten in einem Geröllhaufen, hundert Meilen zur nächsten Stadt. Kein Wasser, kein Fernsehen, keine Weiber, nicht mal elektrischen Strom habt ihr hier."

Jameson spuckte aus und drückte den Speichel mit der Stiefelspitze zwischen die Steine.

Dann blickt er auf. ,,N' Bier?"

,,Geht unmöglich. Ich bin im Dienst."

,,Alles klar", sagt Jameson, wendet sich ab und geht zurück in die Cabin.

Der Sheriff folgt ihm auf dem Absatz und bleibt in der Mitte des Raumes stehen, bis Jameson ihm einen Stuhl anbietet.

Er selbst geht zum Bett, wo die Whiskyflasche liegt.

Fett ist er, der Sheriff, wie er da so sitzt. Der Schweiß stinkt ihm aus seinen Achseln. Die Marke, der Gürtel, die Lederschuhe - alles stimmt.

Der Sheriff hatte inzwischen sein Hemd aufgeknöpft und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

,,Weißt du, Jameson", rollte es aus ihm heraus, ,,eigentlich geht es uns hier in der Wüste ziemlich beschissen. Wir rackern uns ab, und wie kriegen wir es gelohnt? Sie läßt uns verrecken."

Jameson setzt noch einmal die Flasche an, dann wischt er mit dem Handrücken über den Mund.

,,Die Wüste schert sich nen Dreck, was mit uns ist. Sie läßt uns in Ruhe, und wir tun ihr auch nichts. So ist das."

,,Was, zum Teufel, hält dich hier? Warum haust du nicht einfach ab?"

,,Ich habe eine Aufgabe, Mann. Ich muß die Stadt verkaufen. Ich bin nicht wie du, der den ganzen Tag lang irgendwo rumfährt."

,,Stell dir das bloß nicht zu einfach vor. Was tust du denn den ganzen Tag lang?"

"Ich habe mich das nie gefragt. Der Tag geht vorbei."

Jameson steht auf und geht durch den Raum; er hebt eine Plastiktüte auf, aus der er ein paar alte Brote holt.

,,Ich habe zu essen und zu trinken, und ich habe etwas zu tun."

,,Und du willst nie von hier weg?"

,,Ich kann nicht. Ich muß die Stadt verkaufen."

,,Nach Los Angeles oder zum Pazifik?"

,,So wie die, die hier im Sommer durchrollen, ja? Urlauber.Und zwanzig Meilen von hier geht ihnen dann der Sprit aus, und dann hängen sie da, mit ihren Wohnmobilen. Ohne Benzin und Wassertank durch die Wüste. Was glauben die, wo sie sind? Und dann kommen sie hierhergetrampt und wollen gleich die ganze Tankstelle kaufen. Nein, danke."

,,Was machst du mit ihnen? Läßt du sie tanzen?"

,,Von mir kriegen sie Benzin für fünf Dollar. Das reicht bis zur nächsten Tankstelle. Der Rest ist mir egal. Ich bin kein Tankwart. Ich bin hier, um die Stadt zu verkaufen."

,,Und zuhause erzählen sie, was für einen Kauz sie in der Wüste kennengelernt haben."

,,Sollen sie. Außerdem lernen sie mich nicht kennen. Sie kriegen ihr Benzin und damit ist die Sache gegessen."

Der Sheriff richtete sich in seinem Stuhl auf.

,,Aber immerhin sehen sie die Welt. Fahren die großen Highways, während du in deinem Loch vor dich hinfaulst."

,,Blödsinn. Und es stimmt auch nicht, daß jede Straße einen Anfang und ein Ende hat. Ich sitze hier schon ziemlich lange und sehe immer wieder dieselben Menschen. Sie sind auf einem Band festgemacht und kreisen um mich, um Rice, California, und immer im Kreis herum. Der Highway endet da, wo man die Wagen nicht mehr sehen kann."

,,Aber er geht doch viel weiter. Ich bin früher auf Patrouille bis nach Parker gefahren. Und dann gibt's noch andere Highways, den 95er zum Beispiel."

,,Erzähl mir vom 95er."

,,Das kann ich nicht. Ich bin noch nie drauf gefahren."

,,Da siehst du, wie unsinnig er ist. Straßen sind Unsinn. Ich brauche keine Straßen. Ich bin hier, um die Stadt zu verkaufen."

,,Da fällt mir ein, Jameson, der alte Flint hat sich nach dir erkundigt."

,,Ja, und?"

,,Er wollte wissen, wieviel du für die Stadt verlangst."

Jameson erhebt sich. Die Augen des anderen durchbohrten ihn. Er geht ans Fenster.

Die Tankstelle stand da, wie immer, das Closed-Cerrado-Schild im Fenster. Und die Wohnwagen und die Autos, zum ersten Mal zählte er sie, es waren acht, mit dem 59er Bird, dem die linke Tür fehlte.

,,Der alte Flint ..."

"...will dir die Stadt abnehmen. Ganz recht. Das wolltest du doch immer, nicht wahr? Also, wieviel willst du dafür?"

Jameson zuckte zusammen.

Er senkte den Blick und stammelte:" Wieviel? Was, wieviel? Ich weiß es nicht, ehrlich nicht."

Der Sheriff schnalzt mit der Zunge.

,,Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Seit zwanzig Jahren erzählst du herum, du willst die Stadt verkaufen, und jetzt ist endlich einer da, der dir den Dreck abnimmt, und du weißt nicht mal, wieviel du dafür willst?"

,,Bitte, Sheriff, ich ... , ich werd's mir überlegen. Sag ihm einfach, daß ich es mir überlegen will."

1990


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