Der Dicke (Teil 2)

Zurück (Teil 1)

An der Münchner Freiheit stiegen zwei Herren ein mit kleinen umhängenden Ledertaschen und diesen krautigen Koteletten, wie sie die Laiendarsteller im ,,Schulmädchenreport" immer tragen. Als ich sah, daß sie sich nicht hinsetzten, zog ich schon mal die gestempelte Blaue aus der Tasche. Prompt kam das übliche ,,Die Fahrkarten bitte" - und nun geschah das Ungeheure.

Der Dicke fing an, so auf seinem Sitz zu hopsen, daß der im Lodenmantel sich am Fensterbrett festhalten mußte. Seine Gesichtsfarbe wechselte ins Grünliche, er gab schmatzende Laute von sich, und aus seinem Innern war ein dumpfes Grollen zu hören, wie bei einem herannahenden Erdbeben.

Der kleinere der beiden Kontrolleure hielt ihm seinen Kontrollausweis ins Gesicht, und als der Dicke sich vorbeugte und dabei seinen Bauch auf den Schenkeln eindrückte und das unheilvolle Geräusch immer drängender wurde, blieb eigentlich nur noch die Frage, an welcher Stelle sein Körper aufplatzen würde.

Für einen Moment war es ganz still, dann klang es, wie wenn Geschirr zu Boden fällt, und die Augen ploppten aus dem runden Gesicht und zogen weiße Fäden mit sich, die auf seinem Bauch liegenblieben wie Spaghetti. Die Augen aber schienen ihre Freiheit sichtlich zu genießen. Sie fielen von der Jacke des Kontrolleurs, an der sie einen Augenblick gehangen hatten, und sprangen alsdann munter durchs Abteil. Der Zug bremste. Die Schilder ,,Alte Heide" zogen immer langsamer an dem Abteilfenster vorbei, und wir stiegen aus.

Zugegeben, ich war schon etwas erleichtert, als ich sah, daß die Augen zum gegenüberliegenden Ausgang hopsten. Aber verstehen kann ich das Ganze bis heute nicht. Ich habe doch genau gesehen, wie der Dicke gestempelt hat.

Februar 94

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