Eine Zahnbürste ist eine Zahnbürste ist ...

Also, fragt der Irrenarzt noch einmal, was ist das, das Sie da an der Leine hinter sich herziehen?
Das ist meine Zahnbürste, antwortet Pepe.
Als er am nächsten Tag entlassen wird, dreht er sich um und lächelt:
Gell, Fiffi, die ham ma ausg'schmiert!

Es war Frühling und Sonntag. Herbert Moser und seine Frau gingen im Park spazieren. Die Wege waren voller Menschen, und der Kies knirschte fröhlich unter ihren Sohlen. Die Fontänen sprühten, als hätten sie sich den ganzen Winter über auf diesen Moment gefreut.

Herbert atmete die warme, trockene Frühlingsluft und nahm seine Frau fester in den Arm. Raudi, der kleine Dackel, tapste vor ihnen her und setzte dabei die Pfötchen immer etwas schief auf. Welch eine Freude, dem jungen Tier zuzusehen, wie es mal rechts, mal links vom Weg ab und auf die Wiese lief, wenn es etwas gewittert hatte. Herbert Moser genoß es, sich von der Schnauze des Dackels im Rhythmus der Hundemarke über den Weg ziehen zu lassen. Nur hin und wieder, wenn etwa ein Radfahrer entgegenkam, rief er kurz: ,,Raudi!" und zog ein bißchen an der Leine.

Auch Erna war heute in guter Verfassung. Sie lächelte ihn an. Er schlug vor, an der nächsten Weggabelung rechts zu gehen in Richtung See.

,,Darf ich mal den Hund nehmen?" fragte sie. ,,Aber gerne." Herbert gab seiner Frau die Leine.

Nachdenklich blickte sie auf das Tier. ,,Stimmt irgend etwas nicht?" fragte er. Erna schüttelte nervös den Kopf.

,,Nein. Es ist nur, ich habe einmal einen Mann gesehen, der zog eine Zahnbürste an einer Hundeleine hinter sich her. Verrückt, nicht?"

Herbert blieb stehen und legte seine Hände um ihre Schultern.

,,Ich möchte nicht, daß du immer an so etwas denkst, mein Herz. Freuen wir uns lieber an dem schönen Tag."

,,Warum sagst du das? Ich bin nicht blöde, wenn du das meinst."
Im Nymphenburger Schlosspark

,,Aber Erna, natürlich bist du nicht verrückt!"

Herbert schwitzte.

Wenig später kamen sie an einen See und setzten sich auf eine Bank. Eine riesenhafte Weide wuchs hinter ihnen, und einer der Äste griff über ihre Köpfe hinweg ins Wasser. Die Sonne stand hoch, und so warf der Ast scharfumrissene Schatten auf die Wasseroberfläche. Zwei Entenfedern hingen an den Blättern. Ob sie noch vom vorigen Herbst dort waren?

,,Sag mal", fragte Erna plötzlich. ,,Hast du eigentlich am Auto das Licht ausgemacht?"

,,Äh, wie bitte?" Herbert war etwas verstört.

,,Du", drängte Erna, ,,wir müssen zurück. Sonst springt nachher der Wagen nicht mehr an."

,,Erna!" Herbert wurde etwas ärgerlich. ,,Es ist hellichter Tag. Ich habe überhaupt das Licht ..."

Er stockte. In seinem Augenwinkel sah er einen Mann vorbeigehen, mit einer Hundeleine in der Hand, und an der Leine hing - eine Zahnbürste.

,,Nein, es ist alles in Ordnung", beschwichtigte er seine Frau. Sie durfte auf keinen Fall diesen Sonderling mit seiner Zahnbürste sehen. Zum Glück ging er von ihnen fort. Aber jetzt, was tat er nun?

Der Mann ging vom Weg ab und ein paar Schritte auf den See zu, setzte sich ans Ufer und streichelte seine Zahnbürste. Er schien bester Laune zu sein.

Herbert spürte, wie Erna der Gedanke an den Wagen keine Ruhe ließ.

,,Wenn du willst, gehe ich einmal nachschauen, ja?" schlug er vor.

,,Das ist lieb von dir."

Erna lächelte ihn an.

,,Ich bin gleich wieder da."

Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal nach seiner Frau um. Sie hatte sich ganz zurückgelehnt. Helle Sonnenflecken fielen durch die Äste auf ihr Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen. Raudi lag neben ihr auf der Bank und streckte den Bauch in die Sonne.

Herbert schüttelte den Kopf. Dann beschleunigte er seinen Schritt, um den Mann zur Rede zu stellen.

Er fand ihn, wie er kleine Stöckchen warf und enttäuscht war, daß sie nicht apportiert wurden. Gerade bückte er sich, um seinen Hund, oder das, was er dafür hielt, zu tadeln, als er merkte, daß jemand neben ihm stand, offensichtlich nach Worten ringend. Der Mann blickte auf und lächelte.

,,Wie geht's Ihrer Frau?" fragte er.

,,Wie?" fragte Herbert. ,,Woher kennen Sie ..."

,,Wir haben uns im Tierladen kennengelernt. Sie haben auch einen Hund, nicht?"

,,Was wird hier eigentlich gespielt! Bin ich nur von Verrückten umgeben?" Herbert wurde laut.

,,Wie meinen Sie das?" fragte der andere.

,,Na, das ist doch wohl kein Hund, was Sie da an der Leine haben!"

Der Mann blickte an seiner Leine hinunter. ,,Hast du das gehört, Fiffi? Der Herr da sagt, daß du kein Hund bist. Aber was bist du dann?"

,,Das ist eine Zahnbürste." Herbert rang nach Luft. ,,Eine ganz stinknormale Zahnbürste, wie man sie verwendet, um sich damit die Zähne zu putzen."

,,Na, wenn Sie meinen."

Der andere schaute ihn mit festem Blick an. Dann bückte er sich, löste den Karabiner der Leine und nahm Fiffi in den Arm. Er betrachtete ihn ernst, öffnete schließlich den Mund und steckte ihn hinein, immer tiefer, bis er schließlich den Mund wieder schloß.

,,Um Himmels willen, was machen Sie da?" schrie Herbert.

Doch der andere gab nur einen würgenden Laut von sich und sein Gesicht begann sich zu verfärben.

Herbert schrie und rannte davon, zurück zu der Bank, auf der er Erna gelassen hatte. Als er näherkam, sah er, daß sie offenbar fest schlief. Jedenfalls war sie zur Seite hinübergekippt und lag quer über Raudi - und im Mund hatte sie eine Pfote.

Herbert stand einen Moment wie versteinert, dann rannte er zurück auf den Hauptweg, weg von dem See. Und der Kies spritzte unter seinen Füßen, und die Spazierganger wichen ihm aus und wunderten sich über eine solche Hektik an diesem lauschigen Frühlingstag.

März 94


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